„Lebensader Oberrhein“: NABU Baden-Württemberg zieht Bilanz
„Mut zur Lücke“ in den Trockenlebensräumen: Bäume fällen für den Naturschutz
Besonders wichtig war die umfangreiche Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, als NABU und Forst im Naturschutzgebiet Hirschackerwald und der Schwetzinger Hardt Bäume fällten. Das war notwendig, um offene Sandlebensräume zu schaffen. Dichte Baumkronen und dünne Stangenhölzer ließen nur wenig Licht auf die Sandböden durch. Kaum eine Chance zu wachsen hatten deshalb für die Region typische, in Baden-Württemberg teilweise sehr seltene Pflanzenarten, wie die Graue Skabiose oder die Sand-Silberscharte. Sie breiten sich nun wieder aus. Auch wärmebedürftige Insekten, wie die Grüne Strandschrecke oder die Röhrenspinne, fühlen sich im Mosaik aus lichtem Wald und Offenland wohl.
Für viele Menschen war das allerdings zunächst ein Widerspruch: Wer fällt denn Bäume für den Naturschutz? Die Projektbeteiligten informierten deshalb die Bevölkerung früh, warum die Maßnahmen wichtig sind. Dazu schickte der NABU unter anderem Projektbotschafterinnen und -botschafter in den Hirschacker, die vor Ort die Maßnahmen erklärten. An der Waldschule Walldorf gründete sich eine „Maulbeerbuckel AG“, in der Schulklassen die gleichnamige Sanddüne mit dem Kreisforstamt, dem NABU-Pflegetrupp und Freiwilligen des NABU Walldorf-Sandhausen erkundeten und pflegten. „So haben wir Kinder und Jugendliche für den Naturschutz begeistert und gleichzeitig viele Eltern erreicht, die von ihren Sprösslingen einiges über die Maßnahmen und die Biologische Vielfalt lernten“, erinnert sich Walldorfs Bürgermeisterin Christiane Staab.
Die Pflege und weitere Betreuung der offenen Sandflächen wird auch nach Projektende wichtig bleiben. In der Schwetzinger Hardt übernimmt das der Forst. Im Hirschacker wird das Regierungspräsidium Karlsruhe die Verantwortung für die Projektflächen tragen und die erfolgreiche Beweidung mit Schafen und Ziegen fortführen, bei der manuellen Pflege hilft der Pflegetrupp des NABU Rhein-Neckar-Odenwald weiter tatkräftig mit.
Nasse Lebensräume: Rast- und Brutplätze für Wasservögel – Deiche als Rückzugsorte
In den trockenen Lebensräumen fehlte vor Projektbeginn Licht, in den nassen Lebensräumen Wasser. Das war beispielsweise in der Saalbachniederung bei Bruchsal so. Im Projekt legte der NABU-Landesverband hier zusätzlich eine etwa 12.850 Quadratmeter große Fläche an, die nun bei Hochwasser überschwemmt wird und baute so auf die jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit des NABU Hambrücken auf. Viele Wasser- und Watvogelarten, wie Stelzenläufer, Bekassine oder Grünschenkel, ruhen sich auf der Durchreise dort aus und picken Würmer und Insekten aus dem Schlick. Für Franz Debatin vom NABU Hambrücken ging ein Herzenswunsch in Erfüllung: Seit 2018 brütet der Kiebitz in der Saalbachniederung. Dieses Jahr zog er bereits mindestens sieben Küken groß. Die Chancen stehen gut, dass diese später einmal selbst zurückkehren, um hier zu brüten.
Charakteristisch für die Region sind auch die Deiche. Sie schützen die Menschen vor Rheinhochwasser. Dass sie aber auch wichtige Rückzugsräume für Tiere und Wuchsorte für bedrohte Orchideenarten sind, wiesen Untersuchungen im Projekt nach. Der NABU brachte Naturschutz- und Wasserbehörden aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen zusammen und entwickelte Handlungsempfehlungen, wie sich die Deiche möglichst naturschonend pflegen lassen. Auf baden-württembergischer Seite testet der Landesbetrieb Gewässer beim Regierungspräsidium Karlsruhe derzeit einige der Empfehlungen, wie die Staffelmahd, erfolgreich auf einem Deichabschnitt im Kreis Rastatt. Die Böschungen werden dabei in zeitlich und räumlich gestaffelten Durchgängen gemäht, sodass Insekten, wie Schmetterlinge und Wildbienen, stets genug Blüten finden. Bereits nach kurzer Zeit hat sich beispielsweise der Ameisenbläuling dadurch in einem Deichabschnitt wieder eingefunden. Außerdem kommen Orchideen zur Blüte und Fruchtreife, weil später als bisher gemäht wird. „Für uns war der Austausch enorm bereichernd. Aufbauend auf den Ergebnissen in Rastatt wird es dann darum gehen, die gemeinsam erarbeiteten Konzepte Schritt für Schritt umsetzen“, bilanzierte Herr Stelzer, Leiter des Landesbetriebs Gewässer beim Regierungspräsidium Karlsruhe.
NABU-Projektleiterin Fritzsch blickt hoffnungsvoll in die Zukunft: „Die Ergebnisse zeigen, dass unsere Maßnahmen funktionieren. Vieles davon lässt sich auch anderswo in der Hotspot-Region umsetzen. Möglicherweise lassen sich unsere Erfahrungen aus dem länderübergreifenden Austausch sowie die Ergebnisse der Untersuchungen und Empfehlungen zur Deichpflege auch auf andere Flüsse übertragen. Der NABU-Niedersachsen will zum Beispiel herausfinden, ob unsere Handlungsempfehlungen von Nutzen für die Elbe sein könnten.“
Ein Projekt, das Schule macht: Exkursionen, Touren und Bildungsangebote bleiben
Am nördlichen Oberrhein werden auch in den kommenden Jahren viele Menschen für die biologische Vielfalt werben. Dazu gehören unter anderem die 75 Biodiversitätsbotschafterinnen und -botschafter, die der NABU auf der baden-württembergischen Seite ausgebildet hat. Viele von ihnen bieten weiterhin Exkursionen durch die nassen und trockenen Lebensräume an. Wer diese Gebiete lieber selbst mit dem Rad, im Kanu oder zu Fuß erkunden möchte, findet 35 Tourenvorschläge auf der Online-Plattform „Outdooractive“.
Im Naturschutzzentrum Karlsruhe Rappenwört (NAZKA) können Schulklassen weiterhin die Vielfalt in den verschiedenen Wasser-, Wald- und Wiesen- Lebensräumen am Oberrhein mit Natur-pädagoginnen und -pädagogen erkunden. Das NAZKA entwickelte dazu Anfang 2016 im Projekt mehrere Lehrmodule. Seither nahmen mehr als 1.800 Schülerinnen und Schüler an einer der 70 Veranstaltungen zum Projekt teil. Der Leiter des Zentrums, Andreas Wolf, bringt die Stimmung vieler Haupt- und Ehrenamtlicher auf den Punkt: „Das Projekt war für uns eine großartige Chance, neue Bildungsangebote zu entwickeln und noch mehr Menschen zu erreichen. Es ist schade, dass es nun zu Ende geht, aber wir führen die erfolgreiche gemeinsame Arbeit fort.“