Doppelrolle der Deiche: NABU-Monitoring im Hotspot
Stuttgart/Hügelsheim – Die Deiche und ihre Doppelrolle standen im Fokus des dritten Jahrestreffens regionaler Partner und Interessierter im Rahmen des Projekts „Lebensader Oberrhein – Naturvielfalt von nass bis trocken“. Über die Projektziele in Sachen Deich und die umfassende ökologische Untersuchung der Artenvielfalt informierten Rainer Ell vom Regierungspräsidium Karlsruhe, Volker Späth und Anja Lehmann vom Institut für Landschaftsökologie und Naturschutz (ILN) sowie NABU-Projektleiterin Katrin Fritzsch die rund 20 Exkursions-Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Auch die grundlegende Bedeutung der Auenlandschaft blieb nicht außen vor. „Unsere Vision ist, dass die Deiche ihre Rolle für die biologische Vielfalt voll entfalten können und die Deichpflege sowohl hochwasserschutztechnischen als auch naturschutzfachlichen Anforderungen gerecht wird“, sagte Volker Späth.
Rund 640 Rheinhauptdeich-Kilometer gibt es im Biodiversitäts-Hotspot am Oberrhein, davon etwa 280 in Baden-Württemberg. Die Deiche dienen dem Hochwasserschutz, sind aber auch Lebensraum zahlreicher gefährdeter und geschützter Tier- und Pflanzenarten. Um zu klären, wie man die Biodiversität hier bewahren und fördern kann, untersucht der NABU derzeit mit einem länderübergreifenden Monitoring die Artenvielfalt der Deiche. Dazu erfassen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ILN die Vegetation und die Artgruppen der Wildbienen und Tagfalter. „Wir haben bereits 175 Pflanzenarten nachgewiesen, darunter seltene und geschützte. Außerdem kommen wir schon jetzt auf 18 Wildbienen- und vier Tagfalterarten, die in Baden-Württemberg auf der Roten Liste stehen“, erläuterte Anja Lehmann. Den Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmern konnte sie mit Pyramiden-Hundswurz, Bocksriemenzunge und Bienenragwurz allein drei Orchideenarten zeigen. Anhand der Bienenragwurz wurde deutlich, wie eng Pflanzenarten und ihre Bestäuber und somit auch die Verbreitung der Art zusammenhängen: „Die Ragwurz-Arten sind sogenannte Sexualtäuschblumen und nutzen gleich drei Tricks, damit die Blüten bestäubt werden: Duft, Färbung und „Pelz“ gaukeln einem Sandbienen-Männchen vor, dass da ein Weibchen seiner Art sitzt. Bei dem Versuch das vermeintliche Weibchen zu begatten, wird die Blüte bestäubt. Trotzdem liegt die Erfolgsquote bei unter zehn Prozent. Die feinen Samen werden vom Wind kilometerweit getrieben, von der Keimung bis zur ersten Blüte vergehen allerdings mehrere Jahre.“
Die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten sind auf dem Deich im Wesentlichen in drei verschiedenen Biotoptypen zu finden: Fettwiese, Magerwiese und Magerrasen. Auf Basis der Monitoring-Ergebnisse soll länderübergreifend ein Konzept für die Deichpflege entwickelt werden. „Eine wichtige Stellschraube ist der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Mahd der Flächen. Häufig wird zweimal im Jahr gemäht, unabhängig vom Biotoptyp. Für bestimmte Arten können aber eine spätere Mahd oder der konsequente Abtransport des Mahdgutes überlebenswichtig sein“, erläuterte Späth. So könne etwa eine Fettwiese artenreicher werden, wenn sie dreimal im Jahr gemäht und das Mahdgut entfernt werde, bei Magerrasen sei einmaliges Mähen später im Jahr optimal. Damit die Empfehlungen für die Deichpflege praxistauglich sind, arbeitet der NABU eng mit Wasserwirtschaft und Naturschutzverwaltung zusammen. „Dabei werden natürlich auch Zielkonflikte zum Thema, etwa wenn eine späte Mahd die Begehungen zur Funktionsprüfung der Deiche bei Hochwasser im Mai oder Juni behindern würde“, berichtete Späth. „Der Erfahrungsaustausch mit den Behörden läuft durchweg partnerschaftlich und sehr konstruktiv.“